Content Note: Rassismus, Kolonialgewalt
Sehr geehrtes Theater Bonn,
mit der Oper “Columbus” von Werner Egk hat das Theater Bonn in der Spielzeit 2023/24 ein kolonialrassistisches Werk auf die Bühne gebracht. Das Theater hätte diese Bühne nutzen müssen, um postkoloniale Kritik zu üben und bisher verdrängte Perspektiven auf die Kolonialzeit und Kolumbus in der Bonner Oper auf die Bühne zu bringen und strukturelle Kritik am Kolonialismus zu vermitteln. Stattdessen entschied sie sich, ein Stück über Kolumbus zu inszenieren, in dem indigene Perspektiven, Agency und Widerstand gänzlich ausgeblendet werden. Gleichzeitig werden mit dem Stück rassistische Stereotype reproduziert und entmenschlichende und gewaltvolle Inhalte gezeigt.
Wir sind fassungslos und wütend. Wir fordern das Theater Bonn auf, aus dieser Aufführung zu lernen, die Prozesse, die zur Aufführung der Oper in dieser Form geführt haben, und die mangelnde Beteiligung der Betroffenen zu reflektieren und für zukünftige Aufführungen und deren Rahmenprogramm sicherzustellen. Die Oper hätte in dieser Form nicht aufgeführt werden dürfen, darüber darf auch das Rahmenprogramm nicht hinwegtäuschen.
Wir, bonn postkolonial, sind eine selbstorganisierte Gruppe, die sich zum Ziel gesetzt hat, koloniale Kontinuitäten im Bonner Stadtbild sichtbar zu machen. Postkolonialismus und Antirassismus sind dabei Ausgangspunkt unseres Engagements. Für das Rahmenprogramm rund um die Oper “Columbus” wurden wir für eine Podiumsdiskussion zum Thema “Oper trifft Stadt – Erinnerungskultur in Bonn” zusammen mit der Leiterin der Gedenkstätte für NS-Verbrechen Bonn eingeladen. Wir haben dafür 500€ erhalten. Zu dem Zeitpunkt hatten wir die Oper noch nicht gesehen. Zudem sind wir als Gruppe eurozentristisch sozialisiert und sprechen aus nicht-indigenen Perspektiven. Von den fünf Personen von Bonn postkolonial, die die Oper gesehen haben, sind bis auf eine Person weiß positioniert.
Mit diesem Brief möchten wir in einen konstruktiv-kritischen Diskurs mit dem Theater Bonn treten und unsere Kritik, wie aktuell in einer Bonner Kulturinstitution mit dem Thema Kolonialismus umgegangen wird, öffentlich machen. Wir werden uns in diesem offenen Brief mit dem Entstehungsprozess, der Operninszenierung selbst und dem Rahmenprogramm auseinandersetzen. Wir hoffen auf Unterstützung und Vernetzung von Einzelpersonen und Gruppen sowie auf konstruktives Feedback und Ergänzungen per Mail an uns.
Wir brauchen rassismuskritische Perspektiven auf die Kolonialgeschichte und Christoph Kolumbus!
Das Theater Bonn hat ein Stück gewählt, welches den Kolonialverbrecher Kolumbus allein in den Mittelpunkt der Geschichte stellt und den Zuschauer:innen nahelegt, mit ihm zu sympathisieren. Für eine kritische Auseinandersetzung mit der Person Kolumbus und der gewaltvollen Eroberung Amerikas bietet das Stück unseres Erachtens keinen Raum. In der Oper steht Kolumbus als tragische Figur im Zentrum der Handlung.
Wir brauchen aber dringend andere, bisher verdrängte Perspektiven auf die Geschichte von Kolumbus und die der Kolonialzeit insgesamt. Wir brauchen Perspektiven, die die lokale Bevölkerung und die Betroffenen in den Vordergrund stellen, die sichtbar machen, was durch die Kolonialverbrechen unsichtbar gemacht werden sollte und die dem eurozentristischen Narrativ entgegentreten. Stimmen und Perspektiven, wie die der indigenen Bevölkerung, bspw. der Taíno von Guanahaní, und weiterer Kämpfer:innen gegen die Kolonialverbrechen Kolumbus. Ihre Perspektive bleibt in der Oper unsichtbar.
Konkret kritisieren wir, dass dekoloniale Perspektiven bewusst nicht in den Prozess und die Konzeptualisierung der Oper einbezogen wurden. Dies wurde durch die sinngemäß wiedergegebene Aussage der Oper, „Wir haben die Problematik [Rassismus] vermieden, indem wir diese Perspektive ganz ausgeblendet haben” im Rahmen der Podiumsdiskussion am 22.06. auf den Punkt gebracht. Wir fordern: Multiperspektivität muss bei zukünftigen Produktionen sichergestellt werden, denn es gibt nicht nur die europäische Tätersicht auf die Kolonialzeit!
Das Bühnenbild, die Inszenierung und die Texte reproduzieren rassistische Gewalt.
Wir sehen eine goldgerahmte Bühne. Auf der Bühne stehen und liegen überdimensionale Figuren, die wahlweise als Sitzgelegenheit genutzt werden. Die Schauspieler:innen, Sänger:innen und der Chor tragen beige Kostüme, die der stereotypen Kleidung der damaligen Kolonisator:innen ähneln. Im Laufe des Stückes wird das Bühnenbild durch eine Statue von Königin Isabella von Kastillien ergänzt. Nach dem gewaltsamen Überfall Kolumbus wird die Statue sowie der Chor mit Blut beschmiert, um den Gewaltexzess zu verdeutlichen. In der nächsten Szene wäscht sich der Chor sauber und das Blut ist verschwunden.
Auf der Bühne befinden sich diverse Monitore, die den Kontext des Geschehen liefern (sollen). Es werden Bilder und Videos aus verschiedenen regionalen Kontexten sowie aus dem Vietnamkrieg gezeigt. Wir finden es gut, hier den Blick zu weiten und die Kolonialisierung durch Kolumbus nicht als Einzelfall darzustellen, sondern Parallelen sichtbar zu machen. Die Auswahl des Materials reproduziert jedoch rassistische Gewalt, entmenschlicht die Kolonisierten und stellt diese als passive Opfer dar.
Über die Monitore wird auch ein Bezug zur “Tear-them-down”-Bewegung hergestellt. Weltweit wurden und werden Statuen von rassistischen Persönlichkeiten zu Fall gebracht – auch die von Christoph Kolumbus. Die Videos zeigen Aufnahmen der fallenden Statuen und den Jubel der Anwesenden. Gleichzeitig ist es das tragische Ende der Figur auf der Bühne, in dem er Reue zeigt und damit das Mitleid des Publikums fordert. Mitleid mit einem Kolonialverbrecher. Inwieweit Kolumbus am Ende wirklich Reue gezeigt hat, ist nicht gesichert.
Besonders die Textpassagen, sowohl die Oper als auch die Hintergrundtexte, reproduzieren rassistische Sprache und Gewalt. Wir kritisieren dies auf das Schärfste. Unter anderem auch, da diese Reproduktion, durch eine mangelnde kritische Auseinandersetzung und Einbindung von Betroffenen, letztendlich vor allem einen Zweck bedient: die Unterhaltung von einer zum Großteil weissen und unbetroffenen Gruppe von Theatergänger:innen.
Insgesamt erscheint die Kritik oft wenig konsequent oder lediglich kontextualisierend. Weite Teile der Aufführung sowie des gesungenen und gesprochenen Textes bleiben zudem von der Kritik unberührt.
Das Theater Bonn hat sich dafür entschieden, antikoloniale und widerständige Perspektiven auszublenden – schließlich gehe es hier nur um Kolumbus.
Das Rahmenprogramm enthielt verschiedene Vor- und Nachgespräche mit Expert:innen und Wissenschaftler:innen. Auf den ersten Blick wirkt es wie eine intensive Auseinandersetzung mit kolonialen Kontinuitäten und deren aktueller Relevanz und strahlt den Willen aus, sich einer strukturellen Kritik an der Oper als Institution und der Inszenierungen zu öffnen. Aus unserer Sicht hätte genau dies dafür genutzt werden können und müssen.
Wir waren sowohl bei der Podiumsdiskussion als auch bei einem Nachgespräch mit dem Regisseur anwesend. In diesen Gesprächen wurde seitens des Theaters angeführt, dass die Einbindung einer Opferperspektive nicht “stemmbar” gewesen wäre bzw. die Fokussierung auf die Person Kolumbus die Auseinandersetzung mit weiteren Gruppen nicht notwendig gemacht hätte. Auf die Frage nach der Einbeziehung indigener Perspektiven in die Oper antwortete man, dass indigene Menschen, die an der Bonner Klimakonferenz teilnahmen, zu den Proben eingeladen wurden. Es wäre wichtig gewesen, indigene Perspektiven zu einem früheren Zeitpunkt einzubeziehen und nicht nur als Token zu einem Zeitpunkt, an dem die Oper kurz vor der Aufführung stand.
Die Podiumsdiskussion “Oper trifft Stadt – Erinnerungskultur in Bonn” am 22.06. hätte ein Raum für Kontroversen und (Selbst-) Kritik bieten und erste Antworten auf die Frage geben können, wie eine Aufarbeitung unserer Kolonialvergangenheit und ein Umgang damit heute aussehen könnte. Stattdessen wurde ein Gespräch geführt, das allenfalls ein oberflächliches Kennenlernen u.a. unserer Initiative ermöglichte. Das Potential des Formats, neben diesen Antworten ggf. eine Basis für eine konstruktive langfristige Zusammenarbeit zwischen den drei Akteur:innen zu schaffen und Raum für eben diese kontroversen, gewaltvollen aber so wichtigen Themen zu geben, wurde somit überhaupt nicht ausgeschöpft. Nicht überraschend, aber dennoch sehr enttäuschend angesichts der Energie, die in die Inszenierung des Stücks und das Rahmenprogramm gesteckt wurde.
Lückenhaften und falschen Darstellungen der Kolonialvergangenheit wird in unserer Gesellschaft, in Bildungs- und Kultureinrichtungen immer noch zu viel Raum gegeben. Die Inszenierung hat zwar versucht, eine Kritik an Kolumbus in das Stück zu integrieren, aber diese Kritik ist im Stück wenig präsent. Sie wird nicht ausreichend kontextualisiert oder in die Handlung des Stücks integriert, oft nur im Hintergrund oder von Außenstehenden im Rahmenprogramm. Die Kritik bleibt dabei oft diffus und wird nicht auf bestehende Ungleichheiten, global und in Bonn, auf Rassismus und koloniale Kontinuitäten in der Oper bezogen und ermöglicht so leider nicht deren Überwindung, sondern reproduziert rassistische Gewalt. Es ist wichtig, kontroverse gesellschaftliche Themen auf die Bühne zu bringen, aber dies darf niemals auf Kosten der Betroffenen geschehen! Die Oper “Columbus” lässt eine solche Kritik nicht zu.
Wir fragen uns, wie leichtfertig die Entscheidung für die Inszenierung der Oper “Columbus” getroffen wurde und inwieweit kritische Stimmen bereits in die Stückauswahl einbezogen werden. Wir fordern das Theater Bonn auf, aus dieser Aufführung zu lernen, interne Prozesse zu reflektieren und bei zukünftigen Produktionen Multiperspektivität zu gewährleisten. Wir hoffen, dass dieser offene Brief ein Anstoß für diesen Reflexionsprozess und einen Austausch darüber sein kann.
Mit freundlichen Grüßen,
bonn postkolonial
1 “Der englischsprachige Begriff agency hat keine direkte deutschsprachige Entsprechung. Er wird
meist mit Handlungsfähigkeit, Handlungsvermögen oder auch Handlungsmacht übersetzt. Gemeint ist
damit die Fähigkeit eines Akteurs, innerhalb einer gegebenen Situation nicht nur determiniert zu
reagieren, sondern mit einer gewissen Offenheit auf sich selbst und andere Einfluss zu nehmen.”
https://berlinergazette.de/de/agency-im-digitalen-zeitalter/
2 “Tokenismus beschreibt kritisch eine symbolische Geste, bei der Menschen, die aufgrund einer
(ihnen zugeschriebenen) „Kategorie“, wie beispielsweise Frau oder Schwarz positioniert, eine
Minderheit in einer dominanten Gruppe darstellt. (…) Sie werden dabei lediglich als
Repräsentant:innen der ihnen zugeordneten Kategorien und als Vertreter:innen ihrer „Gruppe“
angesehen. Die Praktik des Tokenismus dient dazu, die Kritik an bestehenden diskriminierenden oder
ausgrenzenden Machtverhältnissen, wie beispielsweise Sexismus oder Rassismus, abzuwehren, da
die dominante Gruppe sich darauf berufen kann, Personen dieser „Kategorien“ aufgenommen zu
haben. Bestehende Machtverhältnisse werden damit jedoch nicht erschüttert, sondern nur
oberflächlich verdeckt. (https://www.vielfalt-mediathek.de/kurz-erklaert-token-tokenismus)