Koloniale Kontinuitäten in der Rüstungsindustrie in Bonn
Im Bonner Stadtteil Pützchen/Beuel befindet sich eine Niederlassung von Rheinmetall, einem großen deutschen Rüstungsunternehmen. Sie dient als Ausgangspunkt, um die Bedeutung der deutschen Rüstungsindustrie im (deutschen) Kolonialismus sowie in der post- und neo-kolonialen Gegenwartzu beleuchten. Der Grundgedanke, Macht und Einfluss über andere Völker, Regionen und dortige Ressourcen zu erlangen, um Deutschlands Profitinteressen zu verwirklichen, besteht bis heute. Umgesetzt wird die Unterdrückung damals wie heute hauptsächlich durch Unternehmen der Rüstungsindustrie. Weiterführend muss all dies im Kontext von globaler Aufrüstung und zunehmende Militarisierung, d. h. Ausrichtung von Staatsinteressen auf das Militär sowie zunehmende Bewaffnung von Konflikten, gesehen werden[1].
Im Kolonialismus spielten zahlreiche Industrieunternehmen eine zentrale Rolle bei der Eroberung der Gebiete. Neben Kommunikationstechnologie und Verkehrsinfrastruktur waren vor allem Waffen nötig, um den Widerstand der lokalen Bevölkerung brutal brechen und Kolonien erlangen zu können. Zahlreiche deutsche Unternehmen, die bis heute existieren, haben maßgeblich hierzu beigetragen. Dazu zählen neben bspw. AEG und Siemens auch zahlreiche Rüstungsunternehmen. Rheinmetall produzierte bspw. Unter dem Namen „Rheinische Metallwaren und Maschinenfabrik Düsseldorf“ die sog. Ehrhardt 7.5 cm Mountain Gun. Es handelt sich um eine Waffe, die zur gewaltsamen Besetzung von Kolonien eingesetzt und bis heute im südafrikanischen Nationalmuseum für Militärgeschichte zu sehen ist[2]. Die Rückverfolgung wird durch Übernahmen und Veränderung der Produktionsschwerpunkte teils erschwert, ist jedoch dennoch zweifelsfrei möglich – bereits hier wird der Mangel an Transparenz und Aufklärung der Vergangenheit und Gegenwart deutlich.
Ganz unscheinbar sitzt die Rheinmetall Tochter-Gesellschaft „Rheinmetall Protection Systems“ in der Pützchen Chaussee in Bonn, in einem Bürogebäude, das man* im Vorbeigehen auch leicht übersehen kann. Auch der Name lässt die Dimension der dort entwickelten und verwalteten Technologie nicht erahnen. Wer doch einmal genauer hinsehen möchte, findet auf der Webseite[3] auffällig oft positiv besetzte Begriffe wie Schutz („Schutzkompetenz“, „360°-Grad-Schutz“, „Passive Protection“), Sicherheit und sogar lokale Wertschöpfung. Tatsächlich handelt es sich bei dieser Produktpalette aber um Kriegstechnologie. In der Rheinmetall-Abteilung „Weapon & Ammunition“ (dt: Waffe und Munition), unter der auch die Bonner „Rheinmetall Protection Systems“ geführt wird, werden in Beuel Schusswaffen, Waffensysteme für Fahrzeuge (z.B. Panzer) sowie weitere Kriegsgüter (sog. Hard- und Softkill-Technologie, sensing armor, etc.) entwickelt. Was als Schutzgüter verkauft wird und „harmlos“ klingt, sind tatsächlich tödliche Waffen und Kriegsgüter, die hier in Bonn entwickelt werden.
Rheinmetall, mit Hauptsitz in Düsseldorf, ist eines der größten Rüstungsunternehmen Deutschlands, wichtigster deutscher Exporteur im Munitionsbereich und erwirtschaftet mit den Exporten von Kriegstechnologie jährlich Milliarden – Tendenz klar steigend[4][5]. Diese Waffen und Kriegsgüter werden zu großen Teilen auch in Regionen geliefert, wo diese für Kriegsverbrechen mit gravierenden Menschenrechtsverletzungen eingesetzt werden. Über zahlreiche Tochterunternehmen und Produktionsstandorte in anderen Ländern, wie z.B. in Südafrika und Italien (weltweit sind es 88 Standorte[6]), umgeht Rheinmetall so auch gezielt und systematisch deutsche Rüstungs-Exportverbote.
Einer der größten Abnehmer für deutsche Tötungsgüter ist Saudi-Arabien. Das autoritäre Regime benutzt diese sowohl nachweislich gegen politische Gegner*innen und Andersdenkende im eigenen Land (z.B. 40mm Granaten von Rheinmetall-Tochter RWM, die gegen Oppositionelle eingesetzt wurden), sowie für Kriege, die Saudi-Arabien im Ausland führt. So ist Saudi-Arabien durch seine Kriegsführung im Jemen und die vollständige Blockade des Landes hauptverantwortlich für die humanitäre Katastrophe dort. 24 Millionen Menschen sind im Jemen akut auf humanitäre Hilfe angewiesen und allein 1,6 Millionen Kindern droht der Hungertod – dennoch blockiert Saudi-Arabien konsequent Nahrungs- und Hilfslieferungen, setzt völkerrechtlich geächtete Streubomben ein und tötet immer wieder gezielt Zivilist*innen[7][8]. Erst Ende 2019 wurde ein Exportverbot für Rüstungsgüter nach Saudi-Arabien vom deutschen Verwaltungsgericht für nicht rechtens erklärt und wieder aufgehoben, nachdem Rheinmetall geklagt hatte[9]. Trotz aktuellen Exportverbots kann Deutschland über sog. europäische Kooperationsprojekte weiterhin ganz legal Tötungsgüter nach Saudi-Arabien verkaufen und profitiert wirtschaftlich von Kriegsverbrechen dort und in weiteren Empfängerländern in Kriegsregionen, auf die durch den Exportstopp teils ausgewichen wurde[10]. Zudem beliefert Rheinmetall auch Aserbaidschan, das zur Zeit Krieg um die Region Berg-Karabach führt[11], umging geschickt ein Waffenembargo gegen Eritrea[12] und auch im libyschen Bürgerkrieg tauchten trotz UN-Embargo Militärtrucks von Rheinmetall auf[13], um nur einige Beispiele zu nennen.
Postkolonialismus bedeutet, dass unsere Gegenwart trotz offiziellem Ende der deutschen Kolonialzeit weiterhin von kolonialen Strukturen geprägt ist – die Rüstungsindustrie ist hier ein sehr gutes Beispiel. Waffenexporte und die strategische Unterstützung von bestimmten Konfliktparteien in Kriegen weltweit sind ein Mittel, koloniale Machtstrukturen aufrecht zu erhalten und letztendlich wirtschaftliche Interessen sichern zu können. Liest man den Bericht der Bundesregierung zu Rüstungsexporten, klingt alles recht in Ordnung: „Die Bundesregierung verfolgt eine restriktive und verantwortungsvolle Rüstungsexportpolitik. […] Die Beachtung der Menschenrechte im Empfängerland spielt bei der Entscheidungsfindung eine hervorgehobene Rolle. Wenn hinreichender Verdacht besteht, dass die zu liefernden Rüstungsgüter zur internen Repression oder zu sonstigen fortdauernden und systematischen Menschenrechtsverletzungen missbraucht werden, wird eine Genehmigung grundsätzlich nicht erteilt.“[14] Ähnlich liest sich auch die Unternehmensphilosphie und Nachhaltigkeitsstrategie von Rheinmetall[15]. Dem gegenüber stehen jedoch faktisch Rüstungsexporte in zahlreiche Länder und die gezielte Versorgung von Kriegsparteien mit Waffen. Die oben genannten Beispiele zeigen, dass die Aussagen im Bericht der Bundesregierung bedeutungslos für die Praxis sind.
Im ersten Halbjahr 2020 wurden Einzelgenehmigungen für die Ausfuhr von Rüstungsgütern in Höhe von insgesamt rund 2,78 Mrd. Euro erteilt[16]. Relativ gesehen machten Rüstungsgüter in 2015 mit 7,8 Mrd. € einen Anteil von gerade einmal 0,26% am gesamten BIP aus und haben somit für Deutschland eigentlich eine geringe wirtschaftliche Bedeutung[17], sind jedoch Grundlage für die Sicherung von Wirtschaftsinteressen. Darüber hinaus steigen die Ausgaben für Rüstungsprojekte jedoch an – und selbst angesichts der Corona-Pandemie, wo Investitionen im Gesundheitssystem bevorzugt werden sollten, wird immer mehr in Rüstung investiert.[18]
Nicht nur die Kriege und Konflikte werden durch Rüstungsexporte von Deutschland ferngehalten, auch die Herstellung der Rüstungsgüter wird vermehrt in Länder des Globalen Südens ausgelagert. 2013 baute Rheinmetall bspw. In Südafrika eine Munitionsfabrik für das autoritäre Regime in Saudi-Arabien, ausgeführt über das Tochter-Unternehmen Rheinmetall Denel Munitions (RDM). Dort wird seitdem unter anderem auch das deutsche Sturmgewehr G36 endmontiert und die dazu passende Munition in einer Nebenfabrik hergestellt[19]. Es töten jedoch nicht nur die Produkte von Rheinmetall weltweit. Selbst in eigenen Fabriken kommen Mitarbeiter*innen durch Explosionen ums Leben, wie im September 2018 in Cape Town. Hier starben 9 Menschen und Rheinmetall versucht, die Hinterbliebenen mit kleinen Schadensersatzzahlungen zufrieden zu stellen, ohne das Recht der Familien auf langfristige Unterstützung und Aufklärung zu erfüllen. Hinzu kommen die Langzeitfolgen für die Gesundheit der Arbeiter*innen sowie die Belastung der Umwelt, welche sich immer deutlicher zeigen. Rheinmetall weigert sich, Verantwortung zu übernehmen und zu entschädigen.[20]
Koloniale Kontinuitäten im Zusammenspiel mit Machtinteressen der deutschen Bundeswehr zeigen sich auch in der deutschen sog. „Entwicklungs“zusammenarbeit, die durch das BMZ, die GIZ und viele weitere Institutionen ebenfalls stark in Bonn vertreten ist. So sind Zahlungen von sog. „Entwicklungs“geldern (die ebenfalls kritisch gesehen werden müssen[21]) häufig an die Aufrüstung der Sicherheitskräfte (und sog. Sicherheitstrainings mit der Bundeswehr) gebunden und werden so Investitionen in Bildung oder Gesundheit übergeordnet. Des Weiteren werden über die GIZ (Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit) Projekte finanziert, in denen koloniale Grenzziehungen, die nur auf dem Papier existieren, durch Zäune und Mauern vor Ort realisiert werden. Dies führt in ehemaligen Kolonien bis heute zu Konflikten – welche durch Rüstungsexporte zahlreiche Opfer fordern, die Menschen vertreiben und zur Flucht zwingen. Ein eindrückliches Beispiel ist der ehemalige „Entwicklungs“minister Dirk Niebel, der weniger als 2 Jahre nach seiner Amtszeit zu Rheinmetall wechselte und bis heute dort als Berater tätig ist[22].
Durch und durch zeigt sich fehlende Transparenz über Prozesse in der Rüstungsindustrie, weshalb es für zivilgesellschaftliche Akteur*innen schwierig ist, die Problematik nach außen zu tragen. Es gibt hier jedoch Initiativen wie die Informationsstelle Militarisierung, die genau diese Lücke schließen möchten. Dass wir heute von Post-Kolonialismus sprechen können, ist vor allem das Ergebnis von stetigem Widerstand der Unterdrückten in der Kolonialzeit. Auch heute gibt es aktiven Widerstand weltweit gegen Rüstungsexporte und -industrie sowie Friedensbewegungen[23]. Daher sind wir in Deutschland ebenfalls nicht handlungsunfähig – es gibt aktiven Widerstand an vielen Orten. Wussten Sie/ihr, dass noch im September 2020 vor dem Amtsgericht Bonn eine Verhandlung gegen Aktivist*innen lief, die ein Truppenübungszentrum in der Altmark besetzt haben? Dieses Zentrum wird auch von Rheinmetall betrieben[24]. Auch in Bonn gibt es eine Anti-Kriegs-AG[25].
Doch es geht noch viel einfacher: Informiert euch und sprecht mit Freund*innen darüber, problematisiert die weltweite Aufrüstung, von der auch Rheinmetall profitiert[26]– wer mehr Informationen benötigt, findet diese z. B. hier auf unserer Homepage – ob von politischen Initiativen (imi-online, aufschrei-waffenhandel, german-foreign-policy, rheinmetall-entwaffnen…), offiziellen Berichten der Regierung oder der bpb. Transparenz ist Voraussetzung für Wandel und kann und muss von uns allen voran gebracht werden!
[1] https://sicherheitspolitik.bpb.de/m3/articles/militarisation,https://de.statista.com/themen/666/ruestung/
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Rheinmetall#/media/Datei:75mm-Ehrhardt-1904-Nr1-001.jpg
[3]https://www.rheinmetall-defence.com/de/rheinmetall_defence/systems_and_products/index.php
[4]https://esut.de/2020/11/meldungen/23950/ruestungskonzern-rheinmetall-stellt-zwischenbericht-vor/
[5]https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8204/
[6]https://www.rheinmetall.com/de/rheinmetall_ag/group/locations_worldwide/locations-worldwide.php
[7] http://justicenow.de/2020-02-17/vergeltungsschlag-saudi-arabien-toetet-31-zivilisten-im-nordjemen/
[8]https://de.wikipedia.org/wiki/Milit%C3%A4rintervention_im_Jemen_seit_2015#Kritik_an_westlichen_R%C3%BCstungslieferungen_f%C3%BCr_Saudi-Arabien_und_andere_Golfstaaten
[9] https://www.dw.com/de/exportstopp-f%C3%BCr-saudi-arabien-nicht-rechtens/a-51519750
[10]https://www.sueddeutsche.de/politik/ruestung-saudi-arabien-bundesregierung-1.5143182
[11]https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8398/
[12]https://correctiv.org/aktuelles/2020/02/20/wie-rheinmetall-techniker-einem-waffenembargo-davon-segelten/
[13]https://www.stern.de/politik/deutschland/warum-rheinmetall-militaertrucks-im-buergerkrieg-in-libyen-auftauchen-9276370.html
[14]https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Publikationen/Aussenwirtschaft/ruestungsexport-zwischenbericht-2020.pdf?__blob=publicationFile&v=14
[15]https://www.rheinmetall.com/de/rheinmetall_ag/corporate_social_responsibility/index.php)
[16]https://www.waffenexporte.org/
[17]https://sicherheitspolitik.bpb.de/m3/infographics/economic-importance-of-the-german-arms-industry) –
[18]https://de.statista.com/statistik/daten/studie/183064/umfrage/militaerausgaben-von-deutschland/, https://antikriegsagbonn.wordpress.com/2020/05/03/atombomber-statt-gesundheitsschutz/
[19] https://www.war-starts-here.camp/rheinmetall-2/
[20]https://rheinmetallentwaffnen.noblogs.org/camp/aktuelles-vom-camp/rheinmetall-denel-in-suedafrika/
[21]s. hier auch diese Station: https://decolonize-bonn.de/stadtrundgang/entwicklungszusammenarbeit/
[22] https://de.wikipedia.org/wiki/Dirk_Niebel
[23]Als ein Beispiel: https://www.dw.com/de/krisengipfel-zum-terror-in-der-sahelzone/a-51939423
[24]https://www.war-starts-here.camp/rheinmetall-2/